Vom 27. Juni bis 3. Juli nahmen mehr als 50 Wissenschaftler*innen, begleitet von Journalist*innen, Aktivist*innen, Köch*innen und Künstler*innen aus ganz Europa an der Forschungswoche an der Neretva in Bosnien-Herzegowina teil. Während der multidisziplinären Exkursion untersuchten und sammelten die Wissenschaftler*innen zahlreiche Proben der lokalen Tier- und Pflanzenwelt. Wir werden die Daten verwenden, um die Staudammprojekte am Fluss zu verhindern.
Die 230 Kilometer lange Neretva bildet das Herzstück eines Karsttals, das als Naturerbe von weltweiter Bedeutung gilt. Die zahlreichen Karstquellen speisen das Oberwasser und sorgen für unberührte Wasserwege und natürliche Wälder, die bis zur Stadt Konjic noch völlig intakt sind. Leider sind dieser obere Teil des Flusses und seine Nebenflüsse durch den Bau von mehr als 40 neuen Staudämmen bedroht. Wir benötigen nun valide Daten über die Umwelt und die biologische Vielfalt des Oberlaufs der Neretva, um Beweise für die Schutzwürdigkeit des Flusses vor dem Ausbau der Wasserkraft zu liefern.
Über die biologische Vielfalt im und am Flusssystem der Neretva, insbesondere an ihrem Oberlauf, ist jedoch nur sehr wenig bekannt. Um dies zu ändern, reisten etwa 80 Personen aus ganz Europa nach Ulog, einem kleinen Dorf an der oberen Neretva mit etwa einem Dutzend Einwohner*innen, und campierten dort. Sie übernachteten in Zelten, ihr Frühstück und Abendessen wurde von der gastfreundlichen örtlichen Gemeinde organisiert. Jeden Tag machten sich die Wissenschaftler*innen in Gruppen auf den Weg, um wissenschaftliches Neuland zu erkunden und Proben aus dem Fluss, den Höhlen und den umliegenden Lebensräumen zu sammeln.
Die Expert*innen aus den Bereichen Botanik, Herpetologie, Ichthyologie, Entomologie, Ornithologie und Biochemie rechnen mit Nachweisen besonders wertvoller Arten. Bereits bestätigt ist das Vorkommen der gefährdeten Weichmaul-Forelle im Oberlauf der Neretva. „Ich gehe davon aus, dass wir bei unserem begrenzten Einsatz von nur wenigen Tagen einige für dieses Gebiet oder sogar für die gesamte Wissenschaft neue Arten entdecken werden", sagt Prof. Dr. Gabriel Singer, leitender Wissenschaftler der Neretva-Forschungswoche. Mehrere Wissenschaftler*innen gaben an, dass sie sich bei ihrer Arbeit im Feld manchmal wie im Regenwald des Amazonas fühlten.
„Was das Flusssystem der Neretva so speziell macht, ist die große Biotopvielfalt rund um den Fluss, etwa die Auwälder“, ergänzt Singer. „Solche Habitattypen findet man nur noch selten an Europas Flüssen, aber hier sind sie in einem natürlichen Zustand erhalten geblieben.“
All dies ist jedoch gefährdet durch Wasserkraftprojekte.
„Die gesamte Neretva ist mit rund 70 geplanten Wasserkraftprojekten eines der am stärksten bedrohten Flussökosysteme Europas. Während der Forschungswoche haben uns Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und die örtliche Bevölkerung zusätzliche Motivation gegeben, noch entschiedener gegen die zerstörerischen Staudammprojekte zu kämpfen. Nun werden wir die gesammelten wissenschaftlichen Daten nutzen, um unseren Kampf für den Erhalt der oberen Neretva fortzusetzen. Wir werden nicht aufhören, bis das gesamte Gebiet geschützt ist", erklärt
Jelena Ivanić vom Centre for Environment.
„Für jeden Teilnehmenden der Wissenschaftswoche an der Neretva ist eines klar – die Neretva hat eine europaweite Bedeutung und wir müssen den Wasserkraft-Wahnsinn aufhalten. Diese unberührte Wildnis sollte als Nationalpark geschützt werden und nicht zu einer Kaskade von Staudämmen verkommen“, sagt Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch.
Vielen Dank an die Organisator*innen, Wissenschaftler*innen, Köche, Gemeindemitglieder, Journalist*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben. Es war eine tolle Woche für alle Teilnehmenden. Bis Ende Juli werden wir voraussichtlich einen vorläufigen Bericht über die Ergebnisse veröffentlichen.